Als ich noch ein Kind war, das von der Arbeitswelt so weit entfernt war wie die Demokratie von Nordkorea, hatte ich diesen riesengroßen Traum: Entdeckerin sein, um bislang menschenunberührtes Territorium zu erkunden. Mit der Zeit kam jedoch die schmerzhafte Erkenntnis, dass längst jeder Millimeter Land erforscht und dieser Beruf auch noch äußerst risikobehaftet ist. Als ich endlich vor dem Abitur stand, fehlte mir noch immer eine klare Alternative. Ich wollte studieren – doch wie sollte ich meine vielfältigen Interessen unter einen Hut bringen? War Psychologie das Richtige, oder eher Naturwissenschaften? Oder doch eher Logik? Die Torschlusspanik ließ mich eine ganze Reihe an Berufswahltests absolvieren: Die ergaben, dass ich „unternehmerisch-
planend“ und „technikaffin“ bin und dass Wirtschaftsinformatik gut zu mir
passt. Das klang gut. Mich reizte das breite Themenspektrum und die Vermittlerrolle zwischen Wirtschaft und IT. Weil die TU München in den Rankings glänzte, schrieb ich mich direkt dort ein. Eine Entscheidung, die ich zwar zwischenzeitlich, aber im Nachhinein überhaupt nicht bereut habe. Denn durch meinen Entdeckertrieb habe ich nicht nur fachlich viel gelernt, sondern auch geforscht und zahlreiche Erfahrungen gesammelt. Zum Beispiel während zweier Auslandsaufenthalte in Frankreich und Japan, die ohne die Unterstützung des International Office der TUM nicht möglich gewesen wären.
Eigentlich hatte ich den Grundkurs Japanisch nur wegen eines Freundes belegt. Als ich dann wenige Monate später am Flughafen stand, um meine bis dato längste Flugreise anzutreten, konnte ich es kaum fassen. Im Gepäck hatte ich neben Kleidung ein paar spärliche Brocken Japanisch und eine große Frage, die es in meinem Forschungssemester an der Hokkaido University von Sapporo zu klären galt. Ich wollte nämlich wissen, ob und wie man ein psychologisch fundiertes Recommender-System bauen kann. Ein grobes Konzept hatte ich bereits im Kopf. Doch die Realität grätschte mir schnell dazwischen: Entgegen vorheriger Absprachen musste ich das Projekt alleine umsetzen. Ich musste also nicht nur das Konzept entwickeln, sondern auch programmieren und validieren. Dafür habe ich bei der Umsetzung eine Menge gelernt – insbesondere, dass sich Persistenz oft auszahlt. Auch die kulturelle Umstellung war eine Herausforderung und hat mir viele Denkanstöße gegeben. Beispielsweise hätte ich nie gedacht, dass es in Japan keine berufliche Gleichberechtigung gibt. Ich habe erkannt, wie stark kulturelle Prägungen das eigene Denken und Handeln leiten.
… trennte mich dann nur noch meine Master-Arbeit von meinem Abschlusszeugnis. Und schon wieder zerbrach ich mir den Kopf, wie es weitergehen sollte. Eine Promotion? Fand ich spannend, doch ich wollte mich nach den vielen Jahren im Uni-Elfenbeinturm erst mal in der Praxis beweisen. Ich wollte Abwechslung, flache Hierarchien und eine steile Lernkurve – also keine Nullachtfünfzehn-Planstelle. Über einen Recruiter kam dann der Kontakt zu einer mittelständischen IT-Beratung zustande, die gerade ihren Münchner Standort aufbaute. Eine hemdsärmelige IT-Beratung mit Start-up-Charakter, bei der man aktiv mitgestalten konnte, war genau das, was ich mir vorgestellt hatte.
Seit ich vor rund zwei Jahren meinen Arbeitsvertrag unterschrieben habe, hat sich schon viel bei uns getan: Wir haben viele neue Kollegen und Projekte gewonnen, unser Büro wurde neu gestaltet. Wir haben zusammen gearbeitet und gefeiert. Langwierige Entscheidungsprozesse und fehlende Transparenz mag ich überhaupt nicht. Gerade deshalb genieße ich die Freiheit, mich in verschiedene Themen inbringen zu können – von Bewerbergesprächen bis zur Entwicklung neuer Beratungsprodukte und -dienstleistungen ist vieles möglich. Seit ich meine Leidenschaft für menschenzentrierte IT-Sicherheit entdeckt habe, wirke ich im IT-Security-Kernteam mit. Dazu gehört zum Beispiel der Aufbau von Partnerschaften und Auditangeboten. Den Großteil meiner Arbeitszeit verbringe ich jedoch auf Projekt – derzeit in der Banken-IT, wo ich für den Betrieb einer Bankensoftware zuständig bin. Damit sind viele fachliche und technische Fragestellungen verknüpft: Von abgelaufenen Sicherheitszertifikaten bis hin zu Börsenlogik ist schon vieles auf meinem Tisch gelandet. Stressig wird es, wenn plötzlich Anwendungen im Wertpapierbereich ausfallen. Da gibt es ganz schön Druck, weil solche Ausfälle schnell richtig ins Geld gehen. Zum Glück kommt das jedoch nicht allzu häufig vor.
… ist doch nicht so nutzlos, wie man vielleicht denken mag. In meinem Alltag werde ich oft mit Themen konfrontiert, für die mein Studienwissen ein großer Pluspunkt ist: Beispielsweise hätte ich nie gedacht, dass ich mein Finanz- und Bankenfachwissen oder mein White-Collar-Hacking-Seminar einmal im Job brauchen könnte. Das für mich Wichtigste ist jedoch das Verständnis für die Wirtschafts- und die IT-Welt. Denn ich muss sowohl technische und fachliche als auch prozessuale Probleme erkennen und adressieren können.
Entgegen dem klassischen Beraterklischee von vollgepressten 60-Stunden-Wochen ist mein Alltag deutlich entspannter. Die meisten Projekte sind auch in der Umgebung angesiedelt, sodass sich die Reisezeiten meist sehr im Rahmen halten. Natürlich bleibe ich auch mal länger, wenn die Hütte brennt oder eine Deadline eingehalten werden muss. Wirklich lange Tage habe ich aber nur in Einzelfällen, wenn ich bei einem Kundentermin einen langen Anfahrtsweg habe. Da war mein Maximum etwa fünfzehn Stunden (dank Verspätung der Bahn). Die aufgebauten Überstunden konnte ich dann aber auch wieder abfeiern.
Natürlich ist nicht jeder Tag gleich neu und aufregend. Trotzdem bietet das Beraterleben eine Menge Abwechslung – gerade die Mischung aus Kunden-Workshops, Projektarbeit, Messen und Beteiligung an internen Projekten macht Beratung für mich besonders. Durch die zum Teil sehr unterschiedlichen Einsätze baut man mit der Zeit auch einen wesentlich breiteren Methodenbaukasten auf, als es in einer klassischen Stabsstelle möglich ist. Zum Beispiel habe ich einmal ein Serious Game für Trainings im Ausland gebaut. Die Herausforderungen reichten von der Aufnahme von firmeneigenen Prozessen bis hin zu kulturellen Missverständnissen und dem Erstellen professioneller Druckfahnen. Die Entwicklung hat großen Spaß gemacht, das Spiel ist hervorragend angekommen und auch heute noch im Einsatz.
Der Beitrag wurde in dem Buch Traumjob IT von e-fellows.net veröffentlicht.
Anna Gschwendtner ist Wirtschaftsinformatikerin und seit 2017 als Consultant bei syracom. Neben ihren Projekten in unterschiedlichen Bereichen - derzeit im Governance, Risk and Compliance-Umfeld - ist sie stellvertretende Leitung des Themenbereichs Security und treibt dort u.a. die Portfolioentwicklung zu Social Engineering und zum IT-Security-Check voran.
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